In diesem Gastbeitrag beschreibt Philine, Gründerin von Stella Ponto, ihre Gefühle über den Verlust ihres ungeborenen Sohnes. Die Wut und den Schmerz, welche sie durchlebte und wie sie aus dieser unbeschreiblichen Lage Kraft schöpfen und mit anderen teilen konnte.
„Nichts ist so beständig wie der Wandel.“
Heraklit von Ephesus
Als ich an einem drüben Samstag morgen im Frühjahr durch die kleinen Gassen eines Städtchens lief, traf mich die Erkenntnis mitten ins Herz: Alles ist vergänglich. Und das auf die schmerzhafteste Art und Weise, die nur in dieser Hinsicht zu erfahren ist. Zuerst lähmte mich die Angst, dann durchbrach die Wut und Trauer und mir liefen Tränen übers Gesicht. Soeben war mein größter Albtraum, meine tiefste Angst und Verzweiflung zur einzigen Realität geworden. Mein Kind war tot.
Ein Wandel kommt selten alleine
Wenige Wochen zuvor hielt ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Voller Freude erzählte ich meinem Mann davon. Wir starrten beide ungläubig auf den Test und hielten uns lange in den Armen. Die erste Nacht konnte ich vor lauter Aufregung kaum schlafen. Ich malte mir aus, was nun alles zu erledigen war und wie unser Leben mit Baby aussehen würde. Doch dieses kurze Glück hielt nicht lange. Nur wenige Tage danach setzten erstmals Blutungen ein. Voller Angst ermahnte ich mich Ruhe zu bewahren. Alles würde gut werden. Da war ich mir ganz sicher. Als am nächsten Morgen die Blutungen immer noch anhielten, machten wir uns auf den Weg ins Krankenhaus. Nach langem warten bekamen wir nur die Nachricht, dass alles in Ordnung sei und ich mich einfach nur ausruhen sollte. Doch es hörte nicht auf. Wenige Tage später erhielt ich Medikamente und die Lage schien sich zu entspannen.
Der erste Ultraschall stand an und dieser zeigte ein kleines Baby mit Herzschlag. Und wieder keimte in mir die Hoffnung auf ein glückliches Ende.
Doch das ungute Gefühl blieb und ließ sich nicht vertreiben. Kein Tag verging, an dem ich nicht sorgenvoller Miene auf meinen Bauch starrte und mir wünschte, dass sich alles zum Guten wenden würde. Durch die ganze Anspannung und den Stress entschlossen wir uns, an diesem drüben Samstag einen Ausflug zu machen, der uns auf andere Gedanken bringen sollte. Und dann geschah es. Von jetzt auf gleich spürte ich meinen Sohn nicht mehr. Mehr noch – ich fühlte mich nicht mehr schwanger. Die Angst stieg wieder auf, aber auch eine absolute Erkenntnis. Ich. war. nicht. mehr. schwanger. Es bestand kein Zweifel, obwohl sich alles in mir wünschte, dass ich mich irrte.
Kurz darauf kam die Diagnose und damit der letzte fehlende Beweis, dass ich mit meiner Intuition richtig gelegen hatte. Unser Sohn war tot. Kein Herzschlag auf dem Ultraschall, nur sein kleiner Körper. Unbeweglich. Als sei er am Schlafen. Die Tränen folgten augenblicklich und dann kam die Trauer.
Die Tage danach fühlte ich fast nichts. Ich war wie betäubt und ohnmächtig. War das wirklich passiert? War mein Sohn gestorben? Es fühlte sich an, als ob nicht nur er, sondern auch ein Teil von mir gegangen war.
Nach ein paar Tagen, Wochen spürte ich, wie der Wunsch reifte, etwas zu tun. Dieser Tatendrang war vor allem dadurch getrieben, der Wut über unsere Hilflose Lage etwas entgegen zusetzen. Doch was konnte ich schon tun? Fieberhaft überlegte ich, wie ich diese Herausforderung bewältigen konnte. Ob es überhaupt etwas gab, was mir Trost spenden und mich aus meinem Albtraum erlösen konnte?
Die Lebenskraft kehrt zurück
Und dann war es einfach so da. An einem Abend rannte ich in mein Atelier, (in dem ich eigentlich jeden Tag meiner Kreativität als freiberufliche Designerin freien lauf ließ) und kam mit einem Bündel bunter Papierstreifen zurück. Mein Mann schaute mich fragend an. Dann erzählte ich ihm von der Idee und blickte in begeisterte Augen. Wir machten uns eine Kanne Tee, setzten uns an den Tisch und fingen an Origami Sterne zu falten. Auf jeden der Papierstreifen schrieben wir gute Wünsche und Abschiedsgrüße an unser Sternenkind. Wir redeten viel, weinten und lachten zusammen bis alle Sterne gefaltet waren. Dann fuhren wir ins Grüne, machten eine Abschiedszeremonie, inmitten von rosa und blauen Vergissmeinnicht, und
übergaben die Sterne dem Fluss. Jedes einzelne setzen wir ins Wasser und blickten so lange zurück bis keins mehr zu sehen war. Loslassen und Abschied nehmen. Zusammen. Das gab uns so viel Kraft.
Egal ob in der Bahn oder Meetings – in jeder freien Sekunde faltete ich Sterne. Immer mit dem Wunsch, meinen Sohn nicht zu vergessen und ihm ein Platz in unserem Leben zu geben. Es wurde zum Ritual. Es beruhigte mich und schenkte mir ein bisschen Frieden.
Nachdem es mir so viel gegeben hatte, kam in mir der Wunsch auf, auch anderen Familien in ähnlichen Situationen Trost zu spenden. Ihnen einen Weg auf zu zeigen, wie sie mit ihrer Trauer fertig werden können. Das war der Beginn von Stella Ponto. Der Sternenbrücke. Und so entwarf und gestaltete ich noch mehr Rituale. Ließ sie drucken. Band die Ritual Booklets von Hand in meinem Atelier. Jedes Buch, das ich band, machte mir Hoffnung. Und jede Sternendose, die ich packte, gaben mir Zuversicht und Vertrauen.
Wenn auch Du gerade mit ähnlichen Dämonen zu kämpfen hast, dann lass Dir gesagt sein: Du bist nicht alleine. Wir sind viele. Und das Ende ist immer der Start für einen Neubeginn.