Rituale in der Trauer

Warum sie uns helfen und was man tun kann!

Mein Herz glüht vor Vorfreude als ich beginne diese Kolumne zu schreiben. Wie ich feststellen musste, ist mein Leben mittlerweile nämlich voller Rituale. Aber es geht nicht um meine, sondern um den Sinn und die Möglichkeiten, die ihr in Trauerritualen entdecken könnt.
Zunächst denken die meisten wahrscheinlich bei dem Wort „Ritual“ an religiöse oder spirituelle Handlungen und Traditionen. Allerdings möchte ich mich heute dem widmen, was im Kleinen, manchmal Verborgenen geschieht und uns in unserer Trauer sogar nachgewiesen unterstützen kann: unsere ganz persönlichen Rituale.

Ein Ritual, dein Ritual ist etwas, das dir Kraft schenkt und hilft zu heilen. Es ist alles, was DU willst!

Ich erzähle euch von schönen Ritualen, die mir auf meinem Weg als Trauerbegleiterin aber auch als Trauernde begegnet sind und hoffe, dass euch das eine oder andere als Inspiration dient.

Die Handlungsunfähigkeit auflösen

Michael Norton und Francesca Gino von der Harvard Business School haben vor einigen Jahren eine wunderbare Studie zu Ritualen in der Trauer durchgeführt. Unter anderem zeigte sich durch eine Reihe an Übungen, dass Menschen, die nach einem bedeutenden Verlust Rituale durchführten, oft besser mit ihrer Trauer umgehen können und Trost fanden. „Besser“ meine ich nicht im Sinne von gut oder schlecht – solche Maßstäbe der Bewertungen liegen mir in Sachen Trauer generell fern – sondern eher in Bezug darauf die Gefühle zuzulassen und einen friedvollen Umgang mit den Emotionen zu pflegen. Das für mich schönste Fazit der Studie war, dass Rituale die gefühlte Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit auflösen, die mit diesem großen Ohnmachtsgefühl der Trauer oft einhergehen. So kommen wir durch die Rituale also wieder ins Handeln und können aktiv durch die Trauer gehen, um sie (be-)greifbar zu machen.

Der persönliche Bezug hat das größte Potential

Im Rahmen der Studie von Norton und Gino berichteten die Teilnehmerinnern und Teilnehmer auch von den Ritualen, die sie nach Verlusten praktizierten und die ihnen, in der Zeit der Trauer, Kraft spendeten. Eine Witwe erzählte, dass sie einmal in der Woche das Auto ihres verstorbenen Mannes putzte – so wie er es zu Lebzeiten tat. In dieser Handlung war also eine tiefe Verbundenheit zu ihm und seinen Gewohnheiten und dabei spielte es keine Rolle, dass sie selbst gar nicht mit dem Auto fuhr. Ein anderer Teilnehmer berichtete, dass er nun seit 15 Jahren, immer am ersten Samstag des Monats zum Friseur ginge, denn zuvor schnitt ihm seine mittlerweile verstorbene Frau an diesem Tag immer die Haare.
Es ist ein Transformationsprozess, mit welchem wir Eigenschaften, Vorlieben und Erinnerungen in eine aktive Gedenk-Handlung übersetzen und unserer Liebe und Sehnsucht Raum geben, anstatt sie zu verdrängen.

Kleine Gesten mit großer Wirkung

Jeder hat sofort ein Bild vor Augen, wenn ich von Fußspuren im Sand spreche. Und wenn wir für ein Ritual „in die Fußstapfen treten“, die einst unsere geliebten Verstorbenen hinterließen, dann verbinden sich die Spuren. Diese verschmelzende Verbindung entsteht durch die Dinge, Hobbies, Vorlieben, die typisch für unsere Verstorbenen waren und die wir weiterführen, adaptieren und zu unseren Ritualen machen können.

Die Zeitkapsel für gemeinsame Erinnerungen

Kürzlich sprach ich mit einer Trauernden kurz vor dem sich jährenden Todestag ihres Vaters. Intuitiv wusste sie, was sie wollte: Sie wollte ihm würdevoll gedenken und die Angst und Hilflosigkeit überstehen, die bereits jetzt in ihr aufstiegen.
Also sprachen wir über Ideen für diesen Tag.
Nach nur zehn Minuten war sie inspiriert genug, um dem Ereignis und ihrer Trauer mehr Raum zu geben als der Angst und sich dem Tag kreativ zu widmen. Eine Woche später war ich zutiefst gerührt, als sie mir von dem Tag erzählte und wie sie eine Dose mit Symbolen für all die Dinge, die sie gerne mit ihm noch erleben wollen würden, am Grab platzierte. Gut vergraben aber so, dass sie immer wieder leicht Neues in die Dose legen könnte.

Richtig ist, was uns gut tut

Die Möglichkeiten des Gedenkens sind unendlich – ganz wie die Liebe zu unseren Verstorbenen und ihre Einzigartigkeit. Ob solche Dinge regelmäßig oder einmalig stattfinden, sollte man ganz ungezwungen herausfinden. Manche Rituale sind nämlich einmalig genauso hilfreich und wohltuend, wie andere, die man regelmäßig durchführt. Gut tun muss es!

Friedhöfe sind Orte der Begegnung

Ich persönlich bin ein großer Fan von Orten, die dem Gedenken dienen. Gerne bunt und lebensfroh. Wie sehr ich es liebe auf Friedhöfen Gräber zu sehen, die durch Kleinigkeiten, Details oder schöne Worte auf dem Grabstein, Persönlichkeit ausstrahlen. Kürzlich erst stand ich ganz fasziniert am Grab eines Dokumentarfilmers, wie mir die Aufschrift auf dem Holzbrett verriet, welches den Grabstein ersetzen sollte. Das Grab war nahezu restlos von einen riesigen Baumstamm bedeckt, auf dessen Oberseite aufwendige, wunderschöne Schnitzereien zu sehen waren. Neben dem Grab stand eine robuste Holzbank und darunter lag eine Mini-Bierzeltgarnitur. Ich stellte mir vor wie Freunde und Familie sich hier ab und an treffen, bunte Geschichten und Erzählungen des Verstorbenen austauschen und gemütlich an dem Grab, bei ihm, sitzen und gedenken. Wunderschön.
Eine Teilnehmerin unserer Trauergruppe liebte es das Grab ihres Stiefvaters zu gestalten und oft neu zu bepflanzen. Sie tat es mit solch einer Hingabe und Liebe und fotografierte ihr Werk gerne. Wenn wir uns sahen, präsentierte sie freudig den Ort, an dem die sie weiterhin Nähe verspüren und für ihren verstorbenen Papa Fürsorge ausüben konnte. Manchmal haben wir ganz natürliche, impulsive Ideen und gehen ihnen nach, ohne darüber nachzudenken, dass das vielleicht ein Ritual sein könnte.

Ich trage dich bei mir

Ich lebe leider nicht nahe dem Grab meines Vaters, daher war ich nach der Beerdigung nie wieder dort. Nicht aus Desinteresse oder Scheu vor einem umständlichen Weg, sondern weil ich so gerne einen Ort wollte, an dem ich ihm öfter und kurzfristig nahe sein kann. Als ich kein Grab-Ersatz fand, wurde mein Denken flexibler und mittlerweile ist mein Ort überall da, wo ich mein Lieblingsbild von ihm mit hin nehmen kann. Normalerweise hängt es an meiner quietsch bunten Erinnerungswand, die durch ein paar stark mexikanischen Einflüsse ihre Gestalt fand – umrahmt von Blumen, einem Altar, Frida Kahlo und kleinen, gut gelaunten Calaveras. Wenn ich das Bild dann von besagter Wand abnehme, geht es mit mir auf Reisen. Oder aber auch nur bis zum Esstisch, wo ich dann mit ihm frühstücke oder auch mal abends bei einem Glas Wein von meinen Problemen oder meinem Glück berichte. Auch wenn ich raus in die Natur gehe, weil mir die Welt zu viel wird, nehme ich ihn manchmal mit. Zwar bleiben seine schlauen Ratschläge aus und das leichte Lächeln auf dem Foto kommt nicht annähernd an sein mitreißendes Lachen heran, doch ihn mitzunehmen bedeutet in diesem Moment Verbindung. Und diese bedeutet mir so unglaublich viel und hat mehr als nur die Lücke eines nahegelegenen Grabes geschlossen.

Liebe kennt keine Grenzen

Jetzt hab ich so viel gesagt und am Ende möchte ich nur jeden ermutigen Rituale für sich zu finden und auszuprobieren. Eine tolle Frau sagte mal zu mir: Du bereust immer das, was du nicht tust. Liebevoll klingt dieser Satz immer wieder nach und auch hier ist er wahr und bestärkend.

Daher sollten wir nichts unversucht lassen, um unseren Weg durch die Trauer mitzugestalten und uns mit Werkzeugen wie Resilienz, Austausch mit anderen Trauernden oder eben auch Ritualen zu stärken.

Ein weiteres Zitat, das mir da durch den Kopf geht, lautet „Trauer ist Liebe, die nicht weiß wohin“. Zeit ihr wieder ein Zuhause zu geben, in uns, im Gedenken, in Gesten als Hommage an jene, die uns fehlen.

Alles Liebe,
Luna


Geschrieben von: Luna Schön
Trauerbegleiterin & Redakteurin bei Emmora


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