Wir könnten uns freiwillig und ohne Zwang mit dem Tod beschäftigen und uns auf vieles vorbereiten, denn jedes Wegsehen und jede Furcht vor diesem Thema, ist ein dramatisch großes Stück Hilflosigkeit mehr, sobald der Tod uns begegnet.
Prolog
Vor einem Jahr schrieb ich diesen Artikel, allerdings wusste ich nicht, ob ich damit an das erinnern kann, was ich so gerne würde, nämlich an die Liebe. Ich hab auch wenig Lust ihn Corona-konform umzuschreiben, denn eigentlich ist alles immer noch wahr und vielleicht noch viel, viel wahrer als letzten Sommer. Vor einem Jahr war ich also auf Kos, einer entzückenden griechischen Insel, und wollte eigentlich so richtig die Seele baumeln lassen und für Emmora diesen ersten Artikel schreiben. Also saß mein Trauerbegleiter-Ich im Sonnenschein und unter Palmen und begann zu schreiben bis ich dann so surreal und absurd aus diesem Paradies gestoßen wurde. Ich bekam die Nachricht, dass ein Freund von mir tödlich verunglückt war. Ich hab den Stift niedergelegt. Und ihn wieder aufgehoben. Immer und immer wieder. Und dann hab ich weitergeschrieben. Jetzt erst recht. Als Trauerbegleiterin und Trauernde mit einem Wunsch nach Liebe in diesen Situationen des Lebens.
Wünsche werden unerfüllt bleiben und nach unserem Tod ertrinken die Menschen, die wir lieben, im Chaos. Nur hat das nichts mit Liebe zu tun.
Vielen mag das jetzt überspitzt vorkommen oder dramatisch aber ganz im Ernst- wir müssen uns mehr mit dem Tod beschäftigen! Tun wir es nicht, bleiben große, einen auffressende Fragen offen, die nicht mehr beantwortet werden können und wir werden es verpassen Dinge zu sagen, die vielleicht so viel wichtiger sind, als das, was wir tatsächlich ständig von uns geben. Wir werden wichtige Dinge weiter aufschieben, ohne darüber nachzudenken, was passiert, wenn es kein Morgen gibt. Wir werden weiterhin “YOLO” und sonstigen Quatsch zelebrieren ohne den eigentlichen Sinn dahinter verstehen zu wollen. Wünsche werden unerfüllt bleiben und nach unserem Tod ertrinken die Menschen, die wir lieben, im Chaos. Nur hat das nichts mit Liebe zu tun.
Eine Generation ohne Ausrede
Würden wir unsere Großeltern fragen, ob ihr Lebensstil mit Anfang/Mitte 30 Ähnlichkeiten mit unserem aufwies, hätten sie jedes Recht uns einen Vogel zu zeigen. In ihrer und auch in der Generation danach steckte jedem einzelnen und auch dem Land und der Wirtschaft der Krieg in den Knochen. Man hatte fundamentale und existentielle Probleme und der Tod war allgegenwärtig und nah. Er kam spontan, brutal, durch Waffen, Hungersnot, jede erdenkbare Grausamkeit. Man musste ihm ins Gesicht sehen. Wie oft hör ich Menschen dazu sagen “Man hatte ja keine Wahl!” Und das ist der springende Punkt- Jetzt und hier haben wir eine Wahl. Haben wir uns wirklich dafür entschieden Trauernde allein zu lassen und nicht zu lernen wie wir mit dem Sterben oder Sterbenden umgehen? Für die meisten Generationen könnte man sich auch Gründe oder Ausreden einfallen lassen, die einen gesunden und offenen Umgang mit dem Tod erschwert haben. Nur für unsere Generation finde ich keine. Wir könnten uns freiwillig und ohne Zwang mit dem Tod beschäftigen und uns auf vieles vorbereiten, denn jedes Wegsehen und jede Furcht vor diesem Thema, ist ein dramatisch großes Stück Hilflosigkeit mehr, sobald der Tod uns begegnet.
Das ist fürchterlich- aber das ist das Leben!
In mir dreht ein Trauerkarussell seine Runden bis mir schlecht wird. Ich bin Trauerbegleiterin habe Ideen und Erfahrungen, um mich ein Stück weit halten zu können und nicht durchzudrehen, weil mein Kind vor mir im Pool spielt und den Sommer ihres Lebens hat, während ich bereue, dass ich seit ein paar Monaten den Freund nicht angerufen habe, der gerade verstarb. Und wenn jetzt jemand denkt “Das ist ja fürchterlich”, dann hat er Recht. Aber das ist auch das Leben. Und immerhin habe ich das Glück so viel getrauert, geliebt und darüber gelernt zu haben, dass ich fast gleichzeitig weinen und lachen kann, weil alles in diesem Moment hier seine Berechtigung hat. Aber alle, die sich nicht dafür entscheiden eine Ausbildung als Trauerbegleiterin zu machen und noch nie getrauert haben, können sich trotzdem und sollten sich dafür entscheiden zu lieben. So richtig und ganz und mit aller Akzeptanz für das Leben UND den Tod. Das heißt dann da zu sein in den verrücktesten Situationen und den Tod und die Trauer anzusehen. Furchtlos und entschlossen mit weit geöffnetem Herzen. Dann passt da auch mehr Glück hinein.
Zum Schluss ein Wunsch:
Und so fahre ich auf den Straßen einer wundervollen, griechischen Insel entlang und sehe die kleinen Miniatur-Kirchen überall am Wegesrand, einst um Bauern am Feldrand einen Ort zum Beten zu bieten und mittlerweile auch, um vielen Verkehrstoten zu gedenken. Und ich gedenke in Liebe diesem wunderbaren Freund, den ich durch den Verkehrsunfall verloren habe. Und das mit dem Bewusstsein, so absurd sich dieser Urlaub auch entwickelt, dass ich hier und mit allen Gefühlen sein kann. Auch wenn ich zurück reise, werden da zuhause Menschen sein, bei denen ich weinen und leiden kann und in Erinnerungen an diesen wirklich tollen Menschen schwelgen darf. Das trägt mich und ich wünsche mir für alle Menschen eine solche Gewissheit und liebe Leute, die dann da sind, wenn Himmel und Hölle aufeinander treffen. Damit wird kein Verlust erträglicher aber wir lernen nicht wegzurennen und füreinander da zu sein, wenn es zu Ende geht- davor, dabei und danach. Also lasst uns reden, lieben und da sein bis dass der Tod uns begleitet.
In der Hoffnung auf Liebe,
Luna
(Trauerbegleiterin&Trauernde)