Übungen in der Natur, um sich mit dem Zyklus des Lebens zu verbinden.
„Wir sind Geschöpfe des Waldes“. So lautet ein Buchtitel von Wolf-Dieter Storl, dem Ethnobotaniker aus Deutschland. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: „Wir sind Natur“. Wir haben eine evolutionsbiologische Verbindung zur Natur, nur vergessen wir diese manchmal und leben abgetrennt von dieser. Mein Wunsch ist es, dass die Menschen sich wieder mehr der Natur hinwenden. Somit auch zu sich selbst, und das Gefühl von Abgetrennt-Sein überwinden. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, hat Martin Buber, der jüdische Philosoph der Ich-Du-Beziehung, auch einmal gesagt. „Der Mensch wird am Du zum Ich“. Also in dem wir in Resonanz treten, erfahren, erleben und spüren wir uns. Dies muss aber nicht nur mit unseren Mitmenschen sein, es kann auch mit der Natur sein und genau dazu möchte ich Dich einladen. Mit der Natur in Resonanz zu treten.
Ich möchte Dich einladen, mehr mit dem Zyklus der Jahreszeiten zu leben statt immer dem „höher, weiter, schneller“ entgegen zu streben. Gerade jetzt ist der Winter ein Zeit um Rückzug, eine Art Innenkehr, und Entschleunigung mit Hingabe zu praktizieren und zu leben. Diese Zeit kann dazu genutzt werden, unsere Energie nach innen zu wenden und uns zu regenerieren. Regeneration von der Schnelllebigkeit und einem Drang nach Selbstoptimierung.
Eine Übung für das bewusste Erleben der Jahreszeiten ist es, sich in der näheren Umgebung im grünen einen sogenannten „Sitzplatz“ aussuchen. Einen Ort, an dem man über ein Jahr immer wieder zurückkehrt. Es muss natürlich nicht gleich ein ganzes Jahr sein, aber eine gewisse Regelmäßigkeit kommt dieser Übung zugute. Dieser Sitzplatz kann eine Art Zuflucht und zweites zu Hause werden. Warum so ein Sitzplatz und was bringt uns das? Nicht, dass alles stets immer ein Resultat erbringen muss. Aber inwiefern kann uns so ein Sitzplatz gut tun fragt ihr Euch nun vielleicht. Er bietet Beständigkeit, Sinnesweitung, Rückzug, Ruhe. Und er weckt Neugierde, Achtsamkeit und Offenheit.
Sitzplatz & innehalten in drei Stufen
Nimm eine Dir bequeme Position ein. Gerne im Sitzen (ein kleine Sitzauflage für draußen eignet sich hier gut für). Spüre im ersten Schritt nun nach, wie du sitzt. Nimm Deine Füße auf dem Boden wahr, Deine Gelenke, Deine Schultern, lockere Deinen Kiefer und entspanne Deine Gesichtszüge. Nimm einfach Deinen gesamten Körper wahr und beobachte ihn in Stille.
Nimm im nächsten Schritt Deine Gefühle und Gedanken wahr. Was spürst Du hier draußen in der Natur? Was denkst Du gerade? (Ver-)urteile und bewerte nichts, beobachte nur.
Verbinde Dich nun im letzten Schritt mit Deinem Atem: Nimm Deinen ganz natürlichen Atemrhythmus wahr. Spüre, wie der Atem von allein kommt und wie er wieder Deinen Körper wieder verlässt. Wie er durch Dich durchströmt, in einem stetigen Kommen und Gehen. Beobachte und genieße, dass Du hier im Augenblick nichts tun musst, nur verweilen, beobachten und spüren. Verbinde dich ganz mit diesem Moment.
Beobachte Deinen Körper aber auch die Natur um Dich herum. Diese Übung des Sitzplatzes hat keine Vorgaben oder Regeln und auch meine Vorschläge müssen hier nicht beachtet werden. Folge Deinem Instinkt. Aber gebe Dich gerne einer gewissen Regelmäßigkeit hin.
Den Blick weiten
Such Dir für diese Übung ein Objekt in naher Ferne (einen Baum, einen Stein, einen Felsen . . .) Nimm es ganz bewusst wahr - alle Einzelheiten und kleinen Details. Dann beginne deinen Blick zu weiten - nimm immer mehr wahr – aber nichts spezielles, keinen Fokus, sondern versuche in die Ferne zu schauen und das große Ganze wahrzunehmen. Wende den Blick nach rechts und links, oben und unten. Wenn Dir etwas ins Auge fällt, ist das ok - und dann lasse Deinen Blick wieder weiter schweifen. Den Blick auf dem Boden schweifen lassen, für die kleinen Dinge, aber auch anheben für das große ganze über Dir. Verharre nicht, aber verweile. Vielleicht beobachtest, wie die letzten Blätter von den Bäumen zu Boden segeln oder wie die Baumkronen und-wipfel im Wind zu tanzen scheinen.
So weiten wir unseren Blick und dabei auch unsere Achtsamkeit, unser Bewusstsein und unsere Sinne. Wir entdecken Einzelheiten, die uns sonst auf Spaziergängen vielleicht entgehen. Wir schauen so nicht nur auf den Boden vor uns, um auf dem Weg zu bleiben, sondern wir nehmen das große ganze um uns herum wahr.
Der Zyklus des Lebens
Sich diesem bewussten Wechsel der Jahreszeiten hinzugeben, kann man auch auf das Thema Tod übertragen. Auch unser Leben folgt einem Zyklus. Einem Zyklus, dem wir uns nicht entgegensetzen können, diesen nicht verändern können, sondern diesen Lebenszyklus nur liebevoll annehmen können oder uns zumindest damit auseinandersetzen und nicht verdrängen.
Genauso mit den kalte Jahreszeit, in der wir nur die scheinbar negativen Aspekte dieser Zeit sehen, umso mehr Leben wir in einem Sein-Zustands des Vermissens, des Fehlens (von z.B. Wärme und mehr Licht). Für neues Leben, neue Energie, Transformation bedingt es aber auch eine Art Sterben und Wiedergeburt. Dies lehrt uns die Natur z.B. in anschaulicher und farbenprächtiger Art bei der Herbstfärbung sowie des Entstehens neuer Knospen und Blüten.
Somit meine Frage an Euch: Was wollt ihr in dieser dunklen Jahreszeit vielleicht loslassen? Was wollt ihr nicht mit ins neue Jahr hinein nehmen und wofür wollt ihr neuen Platz schaffen? Dies könnt ihr Euch gedanklich vorstellen, oder Notizen machen oder gar ein kleines Feuerritual, in dem ihr Dinge, die ihr loslassen wollt auf kleine Zettel schreibt und diese dann verbrennt.
Dieser Artikel wurde von Verena Wessel geschrieben.
Mehr über sie und ihr Schaffen findet ihr unter: www.renatorie.com