Wenn der Tod uns scheidet – Bestattungsrituale in Zeiten von Corona

 

Es ist mitten im Frühling und mit der Ahnung neuen Lebens liegt auch Tod in der Luft.

Es ist nichts Neues, dass im Frühling auch mal getrauert werden muss. Aber diesen Frühling bereitet sich ein ganzes Land auf die Trauer vor. Auf eine Trauer, von der noch niemand weiß, wie sie aussehen wird. Und wie sie aussehen darf. Denn Trauerfeiern dürfen aktuell nur noch ohne Körperkontakt im Freien und mit maximal zehn Personen abgehalten werden, mancherorts sogar nur mit zweien. 

Spätestens seit den Bildern aus Italien, die uns den militärischen Abtransport viel zu vieler Särge gen ferner Krematorien zeigten, besteht auch hierzulande die Angst, dass Gesundheits- und Bestattungseinrichtungen an ihre Grenzen kommen könnten. Viele befürchten, dass die Würde der Toten auf Dauer nicht unantastbar bleibt. Dass unsere Sterbenden sich selbst überlassen und wir mit unserer Trauer alleingelassen werden. 

Vieles von dem hat tatsächlich etwas von Pestszenarien, doch sogar zu Zeiten der Großen Pest war es den Menschen noch erlaubt, sich im gebotenen Abstand für Bestattungen zu versammeln. Ob dies für den Ausgang der Geschichte jedoch förderlich war, bleibt allerdings dahingestellt. 

Tatsache ist, dass uns in diesen Tagen die Nähe fehlt, zumindest die körperliche. Wir können Sterbenden und einander nicht durch Besuche beistehen. Viele Rituale und Bräuche, die uns sonst im Verlust Kraft spenden, fallen nun weg. Wir können uns während einer Bestattung nicht umarmen. Wir können keine Kraft aus einer großen Trauergemeinschaft ziehen oder uns über das Erscheinen überraschend vieler Menschen freuen.

 

 

Die Bestatterin Dr. Christine Pernlochner-Kügler sagt dazu im Gespräch mit friedlotse: „Den Sarg oder die Urne nicht gemeinsam als Trauerfamilie berühren zu dürfen, weil ja das Virus möglicherweise an der Oberfläche haftet und so übertragen werden kann; das ist eine schwere Einschränkung.“

Es ist bekannt, dass es sich positiv auf den Trauerverlauf auswirkt, wenn ein Abschied möglich ist. Wenn wir also aus Angst vor Corona vergessen oder uns nicht erlauben, uns zu verabschieden, könnte das verheerende psychologische Folgen haben – für uns persönlich und die Gesellschaft als Ganzes.

Die Fragen dieser neuen Zeit lauten also: Wie können wir uns unsere Abschiede zurückerobern? Wie können wir mutig sein in dieser beängstigenden Lage? Wie können wir Struktur schaffen, wenn gefühlt alles aus den Fugen ist? Wie können wir die Regeln befolgen, so sehr es nötig ist, und dabei so eigenverantwortlich handeln, wie es möglich ist? 

 

Die Antworten darauf sind zunächst einmal praktikabler Natur. Wo man sich nicht mehr persönlich verabschieden kann, hilft Videotelefonie. Feiern können in mehreren kleineren Gruppen abgehalten werden. Wo noch aufgebahrt werden darf, können sich Trauernde im gebotenen Abstand in die Schlange stellen, um Abschied zu nehmen. 

Es sind auch Livestreams von Bestattungen möglich, allerdings kann es sein, dass vor allem die älteren virtuellen Trauergäste technische Schwierigkeiten haben und die Trauergemeinschaft vor Ort abgelenkt ist und Stress empfindet, ob auch alles klappt.
Besser scheint es da, Fotos und Videos zu machen und hinterher mit der digitalen Gemeinschaft zu teilen.

Auch bei einem Covid-19-Verstorbenen kann das Pflegepersonal noch einmal die Stimmen der Zugehörigen über Handylautsprecher im selben Raum erklingen lassen, und der Bestatter kann Blumen, Briefe oder andere Geschenke mit in den Sarg legen und Fotos für die Zugehörigen machen.

Es ist hilfreich, für den Trauerprozess etwas zum Begreifen zu haben ...

Sollte all das, zum Beispiel aus Zeitmangel, nicht mehr möglich sein, kann eine physische Erinnerung an den Toten hilfreich sein, empfiehlt die Trauerbegleiterin Sarah Benz von Sarggeschichten: „Es ist hilfreich, für den Trauerprozess etwas zum Begreifen zu haben; einen Abdruck der Hand zum Beispiel oder eine Haarsträhne. Sie können auch die Person, die beim Verstorbenen ist, bitten, ein Foto für Sie zu machen.“

Ahorns Bestattungskulturbeauftragte Barbara Rolf überlegt am Telefon sogar, die Angehörigen per Videotelefonie bei der Abholung mitzunehmen. So seien Erklärungen möglich, das Gefühl der Ohnmacht werde überwunden, und die Angehörigen könnten so mit eigenen Augen sehen, wie die Verstorbenen gepflegt und mit verschiedensten Beigaben von Familien und Freunden eingebettet werden. 

„Das Schlimmste im Trauerfall sind immer die Bilder im Kopf,“ so Rolf. „Diese Bilder müssen wir mit der Realität austauschen. Sonst leben die Angehörigen für immer mit ihren schlimmsten Fantasiebildern.“

Was unsere gewohnten Rituale, auch bei Nicht-Corona-Fällen angeht, spendet vielen Angehörigen der Gedanke Trost, dass nach der Beisetzung im engsten Kreis einer späteren großen Gedenkfeier nichts im Wege steht, sobald die Situation es wieder erlaubt. 

Wer aber auch zu diesen Zeiten nicht auf rituelle Handlungen verzichten will, hat tatsächlich mehr Möglichkeiten als zunächst gedacht.

Vor der Bestattung 

  • Es können zwei gleiche Gegenstände am Totenbett geteilt werden: eins bekommen die Verstorbenen, das andere die Zugehörigen. So lässt sich Verbundenheit über den Tod hinaus symbolisieren.
  • Kleidung und Schmuck können eine Brücke sein, z.B. der Ehering, der im Moment des Todes weitergegeben wird oder das Kleid der Oma, das angezogen wird, um ihr nah zu sein.
  • Was bei hochinfektiösen Verstorbenen nötig ist, nämlich den Leichnam in ein Tuch zu hüllen, das mit Desinfektionsmittel getränkt ist, kann mit neuer Bedeutung gefüllt werden. „Auch Jesus und Pharaonen wurden in Leintücher gehüllt,“ so Barbara Rolf. 

Für die Bestattung

  • Am offenen Sarg erlaube ich das Ritual mit den Verbindungssteinen,“ so Dr. Christine Pernlochner-Kügler. „Ich habe eine Schüssel mit (desinfizierten) bunten Glassternen und -herzen neben dem Sarg, da darf sich jeder Angehörige zwei herausnehmen. Einen gibt er dem Verstorbenen mit, einen darf er behalten - als Verbindung und Erinnerung.“
  • „Wo die Beerdigung ohne einen stattfinden muss, kann ein Brief vorgelesen und in den Sarg gelegt werden,“ sagt Barbara Rolf. „Man kann auch die Urne töpfern oder den Sarg zimmern, die Kleidung und Bettwäsche auswählen, Erde vom Wohnort oder dem Grab der Eltern fürs Grab senden oder eine Kerze am Grab anzünden und sie später den Angehörigen übergeben. Man sollte sie soviel einbeziehen wie möglich. Wenn der Opa immer so sparsam war, dass es der Hefezopf vom Vortag sein musste, dann legt man ihm eben den Hefezopf vom Vortag dazu.“
  • „Ich ermutige die Trauergäste, sich selbst zu umarmen,“ empfiehlt Pernlochner-Kügler. „Der Körper braucht Zuwendung und reagiert auch auf Berührung, die man sich selbst schenkt; es hilft tatsächlich.

Nach der Bestattung

  • Sarah Benz rät: „Man kann zum Beispiel jeden Abend eine Kerze an einen Lieblingsort des Verstorbenen stellen, oder die Lieblingsmusik hören, oder Briefe schreiben.“
  • Eine Kerze kann man auch im Nachhinein noch ans Grab stellen, so der Trauerbegleiter Klaus Onnasch, oder auch andere schöne Dinge, die man mit dem Verstorbenen verbindet. 
  • „Man kann auch einen Erinnerungskasten oder eine Erinnerungsecke gestalten,“ so Onnasch weiter. „Hierfür würde ich Fotos und Erinnerungsstücke, beispielsweise von gemeinsamen Reisen, empfehlen; also Erfahrungen, die im Kopf des Trauernden ein Bild auslösen.“ So gestaltet man seine Erinnerung an den Toten aktiv und kultiviert die innere Beziehung zu ihm. 
  • „Was ich noch empfehlen kann, sind Entspannungsübungen und Atemübungen,“ sagt Dr. Christine Pernlochner-Kügler. „Gerade in der ersten Zeit sind alle Maßnahmen der Entspannung wichtig, die man auch zuhause durchführen kann: Langsames und bewusstes Einatmen und noch langsameres Ausatmen. Das hilft dabei, ruhig zu werden.“ Ihr Tipp: Progressive Muskelentspannung nach Edmund Jacobson. 

 

 

Auch in der Zeit nach der Bestattung kann das Internet hilfreich sein: Trauerforen können genutzt werden, Online-Kondolenzen und Online-Kerzen können geschickt werden, ein bekanntes Gesicht kann über einen Videoanruf Trost spenden. 

Das mag zunächst wie ein müder Abklatsch erscheinen. Doch: „Ein Anruf ist besser, als gar nichts zu hören und ein Bild ist besser, als gar nichts zu sehen.“ so Barbara Rolf. „Wo haptische Berührung möglich ist, würde ich das natürlich vorziehen. Ich würde auch lieber eine echte Kerze anzünden als eine anzuklicken. Aber ich würde lieber eine anklicken als gar keine zu haben.“

Feste Termine mit Freunden oder Angehörigen für Telefongespräche oder ein gemeinsames, voneinander entferntes Meditieren, Musizieren, Licht auf den Balkon stellen … kann Wunder wirken

 

Wenn sich unsere gewohnten Arten der Kontaktaufnahme verändern und das Gefühl der Ungewissheit, auch in Bezug auf die Dauer der Situation, übermächtig wird, kann es helfen, sich an solchen kleinen Dingen festzuhalten. „Struktur ist enorm wichtig, weil sich so vieles auflöst,“ findet auch Klaus Onnasch. „Feste Termine mit Freunden oder Angehörigen für Telefongespräche oder ein gemeinsames, voneinander entferntes Meditieren, Musizieren, Licht auf den Balkon stellen … kann Wunder wirken.“

Und nicht zuletzt ist da die Hoffnung auf eine Zeit danach. Wir werden viel erlebt und gelernt haben. Wir können jetzt schon unsere Gedanken aufschreiben und versuchen, für kleine Dinge dankbar zu sein. Wir können jetzt schon Pläne machen für eine selbstbestimmtere Zeit. Und wir können uns jetzt schon auf den Zeitpunkt freuen, wenn die Krise überstanden ist – für uns persönlich, und für die Gesellschaft als Ganzes. 
„Darauf können wir jetzt schon anstoßen,“ findet Klaus Onnasch. 

Und Barbara Rolf ergänzt: „Wir müssen mehr denn je kreativ und erfinderisch sein. Wir müssen uns mehr denn je fragen: Was ist gerade wirklich wichtig? Wir müssen Pfadfinder sein zusammen mit den Angehörigen.“

 

Text: Charlotte Wiedemann
Bilder: Angelika Frey

 


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