Die Hamburg Bestatter-Meisterin Nathalie Jess spricht im letzten und dritten Teil ihrer Artikelreihe "Wie man Bestatter mit Suizid umgeht" über das Thema Kirche und ihrem Umgamg mit Suizid.
Anmerkung der Redaktion:
Unsere Interview-Partner und Autoren beschreiben ihre Erfahrungen zum Thema mentale Gesundheit und Suizid ehrlich und sehr offen. Daher bitten wir euch stets auf euer Bauchgefühl zu hören und abzuwägen ob ihr diesen Inhalt gerade lesen könnt und möchtet. Bei den Autoren bedanken wir uns von ganzem Herzen für ihre Geschichten und ihren Mut.
„SELBSTVERSTÄNDLICH bin ich für die Familie da“
Ein besonderer Moment war es, als ich gefragt wurde, ob es denn nun möglich wäre, den Sohn, der sich selbst das Leben genommen hatte auf dem kirchlichen Friedhof bei den Großeltern beizusetzen unter Begleitung eines Geistlichen. In der Familie hatte man schon schlaflose Nächte, weil man davon ausging eine andere Möglichkeit suchen zu müssen. Ich hatte mir darüber noch nie Gedanken gemacht – und sagte – warum sollte das nicht gehen? Die Frage verunsicherte mich im Nachgang allerdings doch und ich hielt Rücksprache mit einem befreundetem Pastor, der sagte, dass der Umgang mit einem Suizid durchaus noch kontrovers behandelt werden würde. Leicht besorgt fragte ich also bei der zuständigen Kirchengemeinde an. In diesem und in jedem weiteren Fall der letzten Jahre, habe ich stets von jedem Geistlichen ein „SELBSTVERSTÄNDLICH bin ich für die Familie da“ gehört. Mittlerweile frage ich gar nicht mehr, ich setze die Unvoreingenommenheit auf eine friedvolle Art voraus.
Die Kirche zum Thema Freitod
Die Kirche geht mittlerweile mehrheitlich nicht mehr von der Vorstellung aus, dass der Freitod ein Verrat an Gottes größtem Geschenk, dem Leben, ist, sondern akzeptiert den Freitod als Ausweg aus einer mentalen Erkrankung. Der christliche Glaube hat Zuversicht, dass ein Suizidant von Gott empfangen wird. Immer mehr Kirchengemeinden setzen sich aktiv für die Prävention von Suiziden ein und plädieren für Mitgefühl und Liebe für die Menschen, die am Leben verzweifeln und bitten darum die Familien derer, die den Freitod wählen, schützend in ihre Mitte zu nehmen.
Warum eine Enttabuisierung wichtig ist
Es ist nicht einfach mit dem Thema offen umzugehen ich wünsche mir einen objektiveren Umgang mit dem Thema Suizid, denn das Tabuisieren führt nur noch mehr zu quälendem Schamgefühl. Doch diese Scham ist unberechtigt. Die eigene Scham darüber, was die Außenwelt denkt, sollte die Angehörigen nicht in die Isolation treiben. Es ist wichtig, dass die Tatsache, dass sich jemand das Leben nimmt, nicht über all den liebevollen Erinnerungen der Angehörigen steht. Sie sollten in Liebe gedenken dürfen.
Ich möchte alle Betroffenen darin bestärken auf eigene Gefühle und Bedürfnisse zu hören, denn kein Ratgeber der Welt ist besser auf uns zugeschnitten als das eigene Bauchgefühl. Viele werden durch sozialen Druck, Tabuisierung und das erwähnte Schamgefühl mit ihrem Schmerz allein gelassen. Allen Angehörigen wünsche ich anhaltendes Mitgefühl, Aussöhnung mit sich selbst und die Versöhnung mit dem Toten.
Als Bestatter können wir bereits eine Natürlichkeit in den Umgang mit dem Thema bringen und durch eine gute Begleitung den Grundstein dafür legen, dass man einen Suizid besser verarbeiten kann. Ich wünsche mir ganz viele gleichgesinnte Berufskollegen, die das tun. <3
Geschrieben von: Nathalie Jess
Die Hamburgerin Nathalie Jess hat erfolgreich die Meister-Prüfung im Bestattungshandwerk absolviert, ist die Inhaberin der “Hamburger Bestattungsstube” und arbeitet beim GBI. Mit all ihrer Erfahrung und ihrem einfühlsamen und lösungsorientierten Denken ist sie ein sehr wertvolles Mitglied unseres Netzwerks. Mit viel Engagement bringt sie sich immer wieder gerne ein und steht mit Rat und Tat zur Seite, sobald es um den Austausch über das Lebensende geht. Sie versteht den Tod als unmittelbaren Teil des Lebens und verkörpert dies durch ihre offene Art darüber zu sprechen. Vielen herzlichen Dank für diese spannende Reihe über drei Teile zu diesem Thema!
Hilfe für Trauernde
Emmora arbeitet mit Trauerbegleitern und Trauerpsychologen zusammen,
die Dir in schweren Stunden der Trauer helfen können.